Antworten? Warum denn?
 
"Versuchen Sie etwa jede E-mail zu beantworten?" fragte der Chef, um dann auf die bejahende Antwort auszurufen: "Dann sind sie ja völlig überarbeitet!" Dass es für das Geschäft gut sein könnte, wenn Kunden auf ihre Anfragen Antworten erhalten, war diesem hoch bezahlten Mann offenbar überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Ein Kunde macht sich nur dann die Mühe zu schreiben, wenn er etwas wissen will, oder verärgert ist. Zum Vergnügen schreibt niemand an eine Firma.
Auf Fragen zu antworten ist heute nicht mehr selbstverständlich. Manche bezahlen Rechnungen erst, wenn eine Mahnung kommt, Manche antworten auf Email oder Briefe nie, selbst wenn sie dadurch auf die Bezahlung ihrer Arbeit warten müssen, wie ich kürzlich über einen Professor hörte, der auch dafür berühmt ist, dass man ihn ständig suchen muss. Nun mag es für einen Forscher wichtiger sein, seine wissenschaftliche Arbeit zu verfolgen, als Papierkram zu erledigen. Vielleicht verdient er auch genug, so dass ihm zusätzliche Einnahmen gleichgültig sind, aber dadurch, dass Andere immer wieder hinter ihm her telefonieren oder schreiben müssen, verursacht er - indem er sich selbst Arbeit erspart - Anderen zusätzlichen Aufwand. So schafft man sich keine Freunde. Und auch im Geschäftsleben ist ein gewisses Maß an Freundlichkeit und Bemühen um gute Zusammenarbeit wertvoll.
Das Wort "Antwort" ist aus dem altgriechischen "ant(i)", zu deutsch "gegen" und dem vom lateinischen "verbum" abgeleiteten "Wort" zusammengesetzt und heißt so viel wie "Gegen-Rede". Wer jemand kränken will, würdigt ihn, oder sie keiner Antwort und zeigt damit an, dass man das Gegenüber gering schätzt. Umgekehrt findet man manchmal das Lob, jemand hätte jederzeit für Jeden "ein gutes Wort übrig". Will ein Autor ein Zerwürfnis andeuten, schreibt er zum Beispiel: "Wortlos wandte sie sich ab". "Sie hatten sich nichts mehr zu sagen", beschreibt das Scheitern einer Beziehung. Bei Verhandlungen heißt es "die Gespräche seien gescheitert", wenn es zu keiner Einigung kommt, egal ob über einen Tarifvertrag, oder die Bildung einer Regierungskoalition.
Wer mit einander redet, will etwas wissen, sucht nach Gemeinsamkeiten, einem Kompromiss, oder ist am Anderen interessiert, will sie oder ihn kennen lernen, verstehen, oder eine Beziehung pflegen. Das gilt im persönlichen, wie im beruflichen Bereich. Im Zeitalter der Videokonferenzen und Videotelefonie sollte es eigentlich keiner Konferenzen mehr bedürfen, bei denen man umständlich zum Tagungsort anreist, miteinander isst, übernachtet und in den Konferenzpausen oder während uninteressanter Vorträge mit einander spricht.
Aber genau dieses Gespräch am Rande ist das Entscheidende, in dem man sich näher kommt, Vertrauen fasst, oder zumindest das Gegenüber einzuschätzen lernt. Deshalb finden heute noch Symposien statt (beide Begriffe meinen, dass man sich begegnet: Symposium bedeutet sich "gemeinsam niederlassen" und Konferenz "zusammen tragen"). Die durch Medien vermittelte Konferenz (Telefon, Video) ist zwar billiger, bringt aber wesentlich weniger Erfolg, bleibt deshalb eine Notlösung und setzt sich deshalb nicht durch.
Die Zwiespältigkeit medialer Kommunikation zeigt sich am Beispiel des Lehrers, der die gesamten Mails seiner Schule in den SPAM-Ordner lenkte und darauf baute, dass ihm Wichtiges schon von irgend einem Kollegen mündlich mitgeteilt werden würde. Je mehr mediale Kanäle zur Nachrichtenübermittlung verfügbar sind, desto wahrscheinlicher wird es, dass erstens der Einzelne überfordert wird, oder zweitens, weil er für sich einen anderen Kanal bevorzugt, von Informationen und Begegnungen ausgeschlossen wird. So musste sich der Regierungssprecher in Berlin harsche Kritik anhören, als er den Termin einer Pressekonferenz nur über Twitter verbreitet hatte, da nicht alle Journalisten dieses Medium nutzten.
Wer SMS bevorzugt, schaut seine E-mails vielleicht nur gelegentlich an, oder vertraute früher darauf, dass Wichtiges per Fax oder Fernschreiber gemeldet werde. Wer nicht über Facebook oder andere soziale Plattformen kommuniziert, gilt heute bei Einigen schon als unerreichbar, so wie vor wenigen Jahren, als man unbedingt in Second World vertreten sein sollte, von der heute kaum noch jemand spricht.
Die Vielfalt der Kommunikationswege (Bote, Brief, Telefon, Mobiltelefon, Pager, SMS, Fax, Internettelefonie, Chat, Mail, soziales Netzwerk, Twitter) hat anscheinend in dem Maße zugenommen, wie die Kommunikation wichtiger wurde, aber auch misslang. Es ist klar, dass mehr Wege auch mehr Möglichkeiten bieten sich zu verfehlen. Zudem wächst der Aufwand für den Einzelnen. Genügten früher Telefon und der Gang zum Briefkasten, so sind heute meist Mobiltelefon und Computer ebenfalls zu erwerben und zu beherrschen, ja sogar zu pflegen, indem man die Software auf den neuesten Stand bringt, oder gar eine Internetseite. Monatliche Gebühren kommen hinzu, auch wenn bei manchen angeblich kostenlosen Dienstleistungen nicht in Geld, sondern in persönlichen Daten bezahlt werden muss.
Die technische Verfügbarkeit hat auch Nachteile. Wer einen Brief schreiben wollte, oder eine Postkart, musst sich erst Stift und Papier, sowie die Adresse holen, dann formulieren, in den Umschlag stecken, frankieren und schließlich das fertige Schreiben zum Briefkasten bringen. Heute haut man seine Gedanken sofort in die Tasten, oft unsortiert, undurchdacht, unklar und wundert sich, wenn nicht Minuten nach dem Absenden die Antwort auf dem Bildschirm erscheint, wie man es von Automaten (Autoresponder; Fahrplanauskunft, oder TAN per SMS) gewohnt ist.
Umgekehrt hat man beim Anruf eines Kundendienstes (Hotline) oder einer Firma häufig den Eindruck ein unerwünschter Störfall zu sein. Sei es, dass man nicht durch kommt, in der Warteschleife bedudelt wird, dass man  einem Automaten sein Anliegen mitteilen soll (man ist der Firma keinen menschlichen Ansprechpartner mehr wert!), oder aber der Mitarbeiter des Callcenters zwar gutwillig ist, aber auch nicht weiter helfen kann. Und oft läuft der Gebührenzähler die ganze Zeit weiter.
Versprochene Rückrufe oder Antworten per Mail, erreichen einen nur selten. Dass hier eine Chance zur Kommunikation mit dem Kunden verpasst wird, oder der durch den Hinweis, dass der Anruf aufgezeichnet werde, eingeschüchtert, gar abgeschreckt wird, bedenken die Firmen nicht.
Andere Firmen und Medienportale im Internet erlauben nur dem Fragen, Kommentare und Leserbriefe, der sich anmeldet und möglichst auch noch zustimmt, dass man ihn mit Werbung beglücke. Das unerwünschte Werbung (SPAM macht bis zu 95 % des Webtrafik aus) das Netz und die Mailfächer oder SPAM-Filter belastet und damit den Nutzen des Internet schmälert, das wird nicht bedacht.
Wobei sicherlich die Botnetze samt den Zombie-Rechnern unvorsichtiger Zeitgenossen die größten Werbeschleudern sind und mit der Werbung seriöser Unternehmen wenig gemein haben. Aber die Summe macht Werbung zum Problem, vor allem, wenn es sich um unerwünschte Werbung handelt. Die muss der Nutzer nämlich entweder selbst löschen, oder einem SPAM-Filter überlassen, der aber auch ab und zu kontrolliert werden muss.
Es wundert wenig, wenn deshalb manche Menschen sich zu entziehen versuchen, indem sie nur ausgewählte Dienste nutzen und ihre Telefonnummer oder private E-mail-Adresse nur wenigen Vertrauten geben. Aber genau so wenig muss man sich wundern, wenn Manche unter der geballten Ladung an Informationen auf vielen Kanälen zusammenbrechen und einfach nicht mehr ihre E-mails lesen, nur noch Anrufe annehmen, deren Absender ihnen auf dem Bildschirm als bekannt angezeigt wird, und auch da nur diejenigen, auf die sie gerade Lust haben. Der Rest landet auf dem Anrufbeantworter, den sie längst nicht mehr regelmäßig abhören. Und schon wird aus der Vielfalt der Nachrichtenkanäle eine Falle, die viele Kommunikationsversuche misslingen lässt, sei es durch Bevorzugung anderer Kanäle, sei es weil die andauernde Überforderung dazu führt, dass man sich verweigert.
Diese Überforderung kann dann dazu führen, dass man auf Anfragen nicht mehr antwortet. Aber damit geht nicht nur die Pflege der Beziehung verloren, sondern längerfristig die Beziehung. Es fällt auf, dass in Facebook alle Bekannten als "Freunde" bezeichnet werden, oder in Twitter die Abonnenten als "Follower", also Folgende. Diese Sprache ist verräterisch. Es wird menschliche Nähe vorgetäuscht, obwohl es ich um eine weitgehend technisierte mediale Kommunikation handelt. Es ist in beiden Fällen ja keine Begegnung von Person zu Person, sondern jemand veröffentlicht etwas, damit es die Anderen zur Kenntnis nehmen. Einweg-Verlautbarung statt wechselseitiger Gegenrede.
Wer veröffentlich spricht keine einzelne Person an und stellt sich auch nicht auf deren Bedürfnisse ein, wie bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Wenn man aber diese Fähigkeit nicht übt, dann geht sie verloren oder verkümmert. Natürlich geht auch die Vertraulichkeit verloren, die im persönlichen Gespräch herrschen kann. Dadurch kann es für den Einzelnen sogar schwerer werden sich jemand anzuvertrauen oder zu öffnen, so dass das Gegenüber ihn versteht und einen guten Rat erteilen oder trösten kann.
Die Kommunikation über Veröffentlichungen macht entweder das Private öffentlich, oder führt dazu, dass man sich schwerer tut Anderen wirklich zu vertrauen. Denn damit Vertrauen wachsen kann, muss man sich begegnen, muss sich auf einander einlassen, sich eventuell auch öffnen, so dass man versteht, warum das Gegenüber so handelt, welche Werte man gemeinsam für wichtig hält und welche nicht. Nur dem wird man Vertrauen schenken, den man wenigstens etwas zu kennen glaubt.
Kennen lernen, oder eine Bekanntschaft schließen und pflegen geschieht aber dadurch, dass man sich austauscht, das man Fragen beantwortet und selbst Fragen stellt. Wer das nicht tut, wird weniger Bekannte haben und kaum Freunde, die diesen Namen wirklich verdienen.
Im Geschäftsleben ist heute das kleine Schwätzchen am Rande, das einst dazu diente, die Bedürfnisse des Kunden zu erfragen, aber ihn auch durch das gezeigte Interesse an die Firma zu binden, der falschen Sparsamkeit, die zur Zeitnot führt, zum Opfer gefallen. Also müssen die Kunden stets aufs Neue durch teure Werbemaßnahmen in die Geschäfte gelockt werden, während man früher durch eine Zahl von Stammkunden, die auch die Qualitäten ihres Stammgeschäftes von Mund zu Mund verbreiteten, auf einen Teil der Werbung verzichten konnte und dennoch wenigstens einen sicheren Grundstock an Aufträgen hatte.
Und im Privaten? Auch hier gilt: Kontakte, die man nicht pflegt, gehen verloren. Wer darüber klagt, dass immer er sich melden müsse, kann daraus schließen, dass er den Anderen entweder nicht wichtig ist, oder aber ihnen nichts zu bieten hat, was mit deren Bedürfnissen zusammen passt. Dann stellt sich die Frage, was die Anderen ihm denn zu bieten haben, ob sich der Aufwand lohnt, oder ob es sich bei diesen Menschen um Leute handelt, die schon verlernt haben Beziehungen zu pflegen.
Die Mäzenin des Komponisten Tschaikowski - eine reiche Eisenbahndirektorswitwe - stand im regen Briefwechsel mit ihm, obwohl sie sich ein Treffen energisch verbeten hatte. Sie nahm lebhaften Anteil an seiner Arbeit und bat schließlich um die Widmung eines Werkes in anonymer Form: "Dem Freunde". Auch von vielen anderen großen Persönlichkeiten ist bekannt, dass sie regen Austausch mit Anderen pflegten, sei es im Gespräch, sei es in Briefen. Zuweilen wurden sie nach ihrem Tode in Büchern veröffentlicht, was darauf schließen lässt, dass die geäußerten Gedanken auch für Andere reizvoll gewesen sein müssen.
Und heute? Abgesehen einmal davon, dass das bei SMS und E-mails wohl kaum geschehen dürfte, weil sie vermutlich gelöscht werden, ehe jemand auf die Idee der Archivierung kommt, ist der Inhalt vielleicht oft wirklich nicht überliefernswert. Wer in Bus und Bahn die Trivialität von Telefonaten mithören muss ("Ich bin jetzt am Bahnhof. Was gibt's zu Essen? Ich bin in 10 Minuten da."), oder auch die gedankliche Schlichtheit mancher Leserbriefe im Internet sieht, der fragt sich manchmal, ob er mit diesen Menschen die gleichen Schulen besuchte, an den gleichen Arbeitsstätten arbeitet, die gleichen Ziele beim Spazierengeren oder im Urlaub anstrebt, oder ob  man aus völlig verschiedenen Welten stamme.
Bis in die 80er Jahre galt als klug, wer im Zweifelsfall den Mund hielt und wartete, ob es ihm möglich sein werde mitzureden, Antworten zu geben. Heute wird oft die eigenen Meinung hinaus posaunt, egal, ob sie jemand hören will, oder ob jemand da ist, der dazu etwas wesentlich Gescheiteres sagen könnte. Die Fähigkeit abzuwarten und aufmerksam zu beobachten welche Stellung man in dieser Gemeinschaft einnehmen könne, scheint verloren gegangen. Statt dessen wird versucht durch Frechheit oder Lautstärke die Lage in den Griff zu bekommen, oder ihr den eigenen Stempel aufzuprägen. Vielleicht weil das schneller geht?
Was steckt dahinter? Bei Jungtieren finden Rangeleien statt um die Rangordnung im Wurf und später auch in der Herde zu klären. Diese Kämpfe enden normaler Weise ehe es schwere Verletzungen gibt, denn je größer und stärker die Herde, desto weniger Chancen haben Räuber. Sobald die Rangordnung geklärt ist, hören deshalb die Kämpfe auf; sie wären auch reine Energieverschwendung. Nur wenn einer seine Stellung vergisst, wird er mit einem Knurren oder Knuff zurecht gewiesen.
Bei den Menschen dagegen wurde von der Wirtschaft ausgehend der ständige Konkurrenzkampf zum Ideal erhoben. Jeder jederzeit gegen Jeden. Das ist eine enorme Energievergeudung. Und es zerstört Vertrauen, Verlässlichkeit, gewachsene und bewährte Strukturen. Der Einzelne wird gehetzt ja nichts zu verpassen, kein Sonderangebot, keine Aufstiegschance, keine Möglichkeit einem Konkurrenten eins auszuwischen, ihm Kunden abspenstig zu machen. Kein Wunder wenn sich immer mehr Menschen, wie in einem Hamsterrad fühlen!
Die ständige Konkurrenz führt aber auch dazu, dass man sich immer weniger traut sich gegenüber einem Mitmenschen zu öffnen, sich jemandem anzuvertrauen, gar zu gestehen, dass man nicht vollkommen und unbeschränkt leistungsfähig sei, sondern erschöpft, krank, deprimiert oder unter einer Trennung leide. Schwäche zeigen ist in einer "Leistungsgesellschaft" - wie sie von manchen hoch bezahlten Dummköpfen gefordert wird - unmöglich. Man gäbe ja zu zu den Verlierern zu gehören. Dabei wollen wohl die meisten lieber in einer Gesellschaft leben, in der es gerecht, redlich, anständig und fair zugeht, in der man Mensch sein kann und darf.
Hohe Leistung macht Spaß, wenn man sie freiwillig erbringt, wie ein Amateursportler. Aber so wie die meisten technischen Geräte rasch kaputt gehen, wenn man sie ständig an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit betreibt, so schadet andauernde Höchstleistung auch dem Menschen.
Wer aber ständig an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit entlang schrammt, der findet nicht mehr die Muße sich mit jemandem über sein Leben auszutauschen, sich Gedanken darüber zu machen, ob er wirklich so leben will. Dem fällt es schwer Initiativen zu ergreifen und sich mit Anderen zu verbünden, wenn er etwas ändern möchte. So gesehen ist die Leistungsgesellschaft für die Herrschenden sehr bequem. Wer außer Puste ist, muckt nicht auf, sondern nützt jede Gelegenheit zum Atemholen.
Wer jedoch die Zustände ändern wollte, der müsste sich Gedanken machen, sich mit Anderen austauschen, eben Fragen stellen und Fragen Anderer beantworten. Nur so könnte er Klarheit gewinnen, was möglich ist, was veränderbar ist und was nicht. Nur so kann er Mitstreiter gewinnen um die gewünschten Änderungen herbei zu führen.
Selbst wer zufrieden ist und nur mit seiner Familie und seinen Freunden in Ruhe leben möchte, der wird auf Einladungen antworten, oder selbst Einladungen aussprechen, den Empfang von Paketen und Geschenken mit Dank bestätigen, oder im Bekanntenkreis um Rat fragen, wenn er einen Garten anlegen, ein Auto oder Haus kaufen, eine Versicherung abschließen möchte, weil er das Urteil seiner Bekannten einzuschätzen vermag und ihnen mehr vertraut, als dem Bankberater oder Versicherungsvertreter.
Genau so wird er selbst auf Anfragen antworten, denn die Grundregel jeglicher Beziehungspflege lautet:
"Wie Du mir, so ich Dir".
Wer hilfreich ist, bekommt Hilfe, wer nette Feste feiert, den besucht man gern und lädt auch ihn gern ein. Wer einem zuhört, dem hört man auch selber eher zu, wer gute Stimmung verbreitet, denn sieht man gern auch bei sich zuhause. Allerdings lautet die zweite Regel:
"Eine Chance gebe ich Dir!"
Ergreift sie das Gegenüber nicht, ist so der Verlust des Gebenden gering. Revanchiert erst sich erst später, dann geht das Spiel von Neuem los.
Wer dagegen nicht gelernt hat, dass eine Rückmeldung, sei es die Antwort auf eine Frage, der Dank für eine Wohltat, oder das Erkundigen, wie es dem Anderen gehe, wenn man sich länger nicht traf, Zeichen des Interesses und des Wohlwollens sind, der muss mit Schwierigkeiten rechnen.
Wer nur kommt, wenn es was zu Essen gibt, oder nur einlädt, damit Geschenke gebracht werden, der muss sich nicht wundern, wenn man ihn für einen Schmarotzer hält, den nur der eigene Vorteil interessiert, aber nicht das Wohlergehen Aller und die Pflege der Beziehungen auch zu jenen Verwandten und Bekannten, zu denen man sich weniger hin gezogen fühlt. Oft ist der tiefere Grund ja der, dass sie Züge haben, die man an sich selbst nicht schätzt, oder nicht wahrhaben will, dass man sie hat.
Früher waren "Danke-Sagen", Knicks, Diener, Händeschütteln und andere Umgangsformen eine Pflicht, die den Kindern andressiert wurde. Ob es richtig war, sie den Kleinen, die ihren Wert nicht erkennen konnten, einzutrichtern? Besser wäre natürlich sie hätten solche Formen von den Großen einfach abgeschaut und später den Wert und den eigentlichen Sinn - Pflege der Beziehung - erkannt und sie deshalb gepflegt. Wobei nie die Form, sondern stets das Anliegen im Vordergrund stehen sollte. Freiherr Knigge, Verfasser des gleichnamigen Ratgebers, ging es nicht um Benimmregeln, sondern darum dass jeder, der sich an diese Umgangsformen hielt, sicher sein konnte keinen groben Fehler im Umgang mit Anderen zu machen. Er wollte die Begegnung zwischen Oben und Unten, Arm und Reich, Gebildet und Ungebildet erleichtern. Ob er vielleicht auch einigen hochwohlgeborenen Leuten mit schlechten Manieren, aber einem großen Standesdünkel den Spiegel vorhalten wollte, ist nicht gewiss.
Sich richtig zu benehmen ist heute schwerer als früher, weil es an vereinfachenden Regeln fehlt, also man in jeder Situation selbst versuchen muss zu spüren, was jetzt angemessen ist und was man besser nicht tut. Egal, was man tut, es ist aber eine Antwort auf die Situation und die Menschen, mit denen man gerade zusammen kommt.
Wer zum Beispiel bei einer Begrüßung nicht den Begrüßten anschaut, sondern irgend wo hin, der zeigt, dass ihm dieser Mensch nicht wichtig ist. Wer jemanden unterbricht, verrät, dass er sich selbst, oder seinen Gedanken für wichtiger hält, als den Sprechenden und / oder, dass er nicht zuhörte, nicht zuhören kann. Wer auf eine Frage nicht antwortet, zeigt, dass er den Fragenden nicht ernst nimmt, ja vielleicht sogar gering schätzt, zumindest aber an einer Begegnung mit diesem Menschen nicht interessiert ist. Das gilt nicht nur, wenn man sich gegenüber steht, sondern auch bei medialer, also telefonischer oder schriftlicher Kommunikation.
Die Ausrede, dass man für das Antworten keine die Zeit habe, zeigt dem Gegenüber in den meisten Fällen nur, dass der Angesprochene nicht bereit ist für ihn die Zeit aufzubringen, die für eine Antwort nötig wäre, also, dass ihm alles Andere wichtiger ist, als der, der ihn ansprach oder anschrieb.
Was dann? Wenn dem Fragenden viel Wert am Angesprochene liegt, gibt er ihm vielleicht eine zweite Chance, wird wieder fragen, vielleicht auf verschiedenen Wegen versuchen, mal im persönlichen Gespräch - wenn es denn zustande kommt - nachfragen, weshalb der Andere nicht antworte; aber wenn dann immer noch keine Antwort kommt, dann wird der Fragende sich irgend wann die Mühe sparen und keine Fragen mehr stellen und diese Beziehung betrübt beenden. Das Gegenüber hat ja deutlich gezeigt, dass es den Kontakt zu ihm nicht wünscht und die Beziehung nicht pflegen will. Und gegen diesen deutlich gezeigten Wunsch kann man schlecht etwas machen.
Wer nicht antwortet, dem liegt auch nichts am Anderen.
So betrachtet ist die zunehmende Neigung auf Fragen nicht zu antworten ein bedenkliches Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen die Pflege von Beziehungen nicht mehr beherrschen und dadurch einsamer werden, als es ihnen und der Gesellschaft gut tut.
 
 
Das Bild zeigt Post, die bei einem geschlossenen Laden unter der Ladentür durchgeschoben wurde. Darunter Einschreiben. Entweder ist der Besitzer erkrankt, oder der Laden ist Pleite. In jedem Fall misslingt hier Kommunikation, also Austausch zwischen Menschen.
 
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 15. Mai 2011
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