Sprechende Pantomimen gesucht?
Neues SWR-Fernsehstudio im grünen Bereich?
 
Die neuste Entwicklung im Journalismus geht dahin, dass der Mensch vor der Kamera über Dinge sprechen muss, die er gar nicht sieht, weil sie erst in der Regie ins Bild gemischt werden. Wie bei einer Pantomime oder einer Scharade muss der Moderator mit Gegenständen umgehen, die für ihn gar nicht da sind. Dafür bekommt er (oder sie) aber den Text auf Bildschirmen an den automatischen Kameras zum Ablesen serviert. Das gibt es teilweise schon und wird so sein im neuen "virtuellen Studio C" (ein sprachlich unglücklicher und unpräziser Name), dass der SWR in den nächsten Monaten in Stuttgart in Betrieb nehmen wird, wie im DJV-Blickpunkt nachzulesen ist.
Vor lauter Begeisterung über die neuen technischen Möglichkeiten wird die grundlegende Frage vergessen: Was bringt das den Mitarbeitern und den Fernsehzuschauern? Was für eine Situation wird da für den Ansagenden geschaffen, der den Zuschauern als derjenige erscheint, der ihnen etwas Neues, Wissenswertes vermittelt? Dieser Mensch könnte sich im Studio wie in einem grünen Aquarium vorkommen, allein mit drei automatischen Kameras und den grünen Wänden, die das von der Bluebox bekannte Blau ersetzen und das Einkopieren von Texten, Bildern, Filmen, Grafiken (auch in drei Dimensionen) und von Hintergründen angeblich noch besser erlauben.
Ich frage mich, warum manche Redner bei Aufnahmen im Funk einen Menschen mitbringen, den sie sich stumm als Gegenüber ins Studio setzen, damit sie jemanden haben, an den sie ihre Worte richten können und der Vortrag gut rüber kommt. Auch Heinrich Schliemann gab angeblich Geld für einen Menschen aus, der ihm beim Erlernen fremder Sprachen als Gegenüber diente, an das er seine Sätze richten konnte, egal, ob er die verstand, oder nicht. Ich erinnere mich an eine Vorlesung, in der ein Professor eine These vortragen musste, hinter der er selbst nicht stand und es gab Zuhörer, die das spürten und ihn hinterher darauf ansprachen. Die dürften an einer derartig künstlichen Sendung wenig Freude haben.
Warum macht man es dann dem Menschen im neuen Studio unnötig schwer? Bisher konnte er zur Not noch die Kameraleute anreden, nun ist er allein. Dabei soll er doch den Kontakt zum Zuschauer schaffen und im Idealfall festigen. Diese eigentlich absurde Situation, dass man in einem Kasten herum hampelt, damit andere, die das mit Hilfe von Kameras und Mikrophonen übermittelt bekommen, davon fasziniert sind, dürfte sich als nicht sehr hilfreich erweisen. Die künstliche Situation könnte im Gegenteil dazu beitragen, dass der Funke viel weniger überspringt, oder weniger Kollegen für diese Arbeit geeignet sind, eben "sprechende Pantomimen".
Da der Moderator die eingespielten Bilder oder 3-D-Grafiken nicht sieht, besteht die Gefahr, dass er sozusagen in sie hinein läuft. Er muss also mit einem Auge auf den Monitor schielen, um zu sehen, wie weit er sich bewegen darf. Es mag Leute geben, die selbst unter diesen erschwerten Bedingungen gute Arbeit leisten. Aber wieso muss man ihnen überhaupt die Arbeit unnötig schwer machen?
Worum geht es denn bei einer Nachrichtensendung zu Landesthemen? Im Grund darum Neuigkeiten und Zusammenhänge so zu vermitteln, dass der Zuschauende in relativ kurzer Zeit erstaunlich viel Wissen aufnehmen kann, falls es ihn interessiert. Es ist also eine ähnliche Situation, wie wenn man auf der Straße einen Bekannten trifft und der erzählt einem etwas Neues. Auch der wird sich auf Wesentliches beschränken und durch Gestik, Mimik, Tonfall, oder Verweise auf gemeinsames Wissen um eine knappe, aber anschauliche Vermittlung bemühen. Der Unterschied zum Studio ist, dass wir ihn und seine Glaubwürdigkeit, sowie Haltung kennen. Es handelt sich um eine Gesprächssituation, bei der man sich anschaut und das Drumherum weitgehend nebensächlich wird, eben ein intensiver Austausch.
Das Fernsehen hat den Vorteil, dass es nicht nur erzählen muss, sondern auch Bilder oder Filme vom Geschehen zeigen kann, oder komplizierte Vorgänge - anders als im Gespräch - in einer Grafik zeigen kann, die mehrere Informationen gleichzeitig anbietet, während Sprache eins nach dem Anderen abhandelt. Allerdings muss sich der Zuschauende bei jedem neuen Bild, jeder neuen Grafik erst einmal darin zurechtfinden, ehe er dem Inhalt folgen kann. Es wäre also hilfreich, wenn man ihm das leicht macht. Egal ob durch die Ansage, oder durch eine Karte, wenn es um einen Ort geht, oder einem Übersichtsbild. Schließlich sollte die zu vermittelnde Neuigkeit ja im Mittelpunkt stehen. Es wäre insgesamt für die Vermittlung hilfreich eine Situation zu schaffen, die der aus dem Alltag vertrauten Gesprächssituation nahe kommt.
Statt dessen toben sich Designer und Grafiker sowie die Regie gerne in den Möglichkeiten aus, die Technik bietet. Da steht dann plötzlich das Bild des Korrespondenten mitten im Raum und während man sich fragt, was das soll und warum ihn der Mensch im Studio nicht richtig anschaut, sondern nur in seine Richtung, hat man schon einen Teil seiner Worte verpasst weil man vom Optischen abgelenkt war. Damit ist die Vermittlung der Neuigkeiten misslungen!
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Die Moderatorin versucht dem Kollegen, dessen Bild eingespielt wird, anzusehen, um dadurch den Anschein einer normalen Gesprächssituation zu schaffen. Das wird aber allein schon dadurch verhindert, weil das Bild des Kollegen fei im Raum zu schweben scheint.
Ich verstehe ja, dass denen die täglich solche Sendungen fahren, das immer gleiche Studio und die ständig gleichen Abläufe langweilig werden. Aber das hängt damit zusammen, dass sie sich  darauf konzentrieren müssen, dass eine Metaebene stimmt (Bild, Ton, Timing, Licht, usw.), die Sendung aber nicht mehr aus der Perspektive eines Zuschauers verfolgen, dem vertraute Elemente Halt geben, so dass er sich auf die neuen Inhalte konzentrieren kann. Zudem sind die Produzenten einem Teil der Zuschauer an Bildung und Information weit voraus, so dass sie deren Schwierigkeiten nur schwer nachvollziehen können.
Die Zuschauer reichen von einfachen und schwerfälligen Menschen bis hin zu Hochgebildeten mit schneller Auffassungsgabe. Die einen wollen wissen, was im Lande los ist, die anderen müssen schauen, ob ihr Chef, ihre Firm, oder ihr Verband gut rüber kommen. Für alle senden die Öffentlich Rechtlichen. Das bedeutet, die Kommunikationsdichte darf nicht zu groß sein. Wird jetzt aber ein elektronisch-optisches Feuerwerk verabreicht, dann sind das eben auch Informationen, die das Gehirn verarbeiten muss. Und sobald der Zuschauer sich davon fesseln lässt, besteht die Gefahr, dass die eigentliche Nachricht zu kurz kommt.
Es fällt Leuten, die täglich fernsehen, meist nicht mehr auf, welche künstlichen Welten dem Zuschauer auf dem Bildschirm geboten werden. Das fängt an bei der Schminke, geht über das Studiodesign, Licht, Farben, Klänge, Animationen und extreme Kamerapositionen um nur ja einen Reiz zum Dranbleiben zu bieten. Das alles mag im Einzelfall seine Berechtigung haben und auch recht unterhaltsam sein. Aber was in einer Unterhaltungsendung passt, ist in einer Nachrichtensendung unter Umständen fehl am Platze, weil es die Kommunikation und das Verständnis erschwert.
Wenn jetzt der SWR sicher ziemlich viel Geld dafür ausgibt, das dann modernste Studio Europas zu besitzen, dann muss man doch mal fragen, warum dieses Geld nicht lieber teilweise gespart und in Arbeitsbedingungen gesteckt wird, die den Mitarbeitern und den Zuschauern optimal angepasst sind, statt für die Verpackung der Inhalte solche Verrenkungen zu machen (Der Zuschauer soll nicht merken, dass es sich um ein "Virtuelles Studio" handelt. Wieso eigentlich?). Will man informieren, oder unterhalten? Will man den interessierten mündigen Bürger mit soliden Nachrichten versorgen, oder dienen die Ereignisse des Tages nur noch als Staffage für eine Light-Show im doppelten Wortsinn?
Das Ganze geht in Richtung "Infotainment", also die Vermengung von Nachrichten mit Unterhaltung. Aber wie würde es einem vorkommen, wenn einem auf der Straße ein Bekannter vom Tode seiner Mutter erzählt und einen dabei nicht anschaut, sondern Gymnastik macht, oder eine Nachbarin anflirrtet?
Übertragen auf die technischen Möglichkeiten solcher Fernsehstudios könnte das bedeuten, dass bei Todesnachrichten der Raum in dezentes Licht getaucht wird (warum nicht auch die Ansagenden in Grün kleiden, so dass man auch deren Kleidung von Beitrag zu Beitrag elektronisch verändern kann?), bei einem Sportereignis grellbunte Bilder flimmern und bei einer Straßeneinweihung das Studio scheinbar die Straße hinunter fährt, sobald der Bürgermeister das Band durchschnitten hat. Natürlich ist das lustig, aber eben auch oberflächlich. Außerdem überfordert die Fülle der dargebotenen Informationen in der kurzen Zeit einer Nachrichtensendung viele Zuschauer inhaltlich und vielleicht auch gefühlsmäßig, wenn sie sich auf die gezeigten Themen einlassen. Lohnt sich dafür der Aufwand?
Ich habe den Eindruck, dass die Verfügbarkeit technischer Möglichkeiten in den letzten Jahren nicht so sehr der besseren Verständlichkeit, als viel mehr der optischen Überwältigung diente. Das ist bei einer Unterhaltungsschau sicherlich nett und reizvoll und mag die Zuschauerzahlen steigern. Aber wenn Nachrichten aufgepeppt werden müssen, damit sie überhaupt noch jemand anschaut, dann, fürchte ich, ist da Einiges schief gelaufen.
 
Das Bild oben zeigt eine unnatürliche Gesprächssituation, die auf den Zuschauer bedrohlich wirken könnte: Zwei Personen mit zu viel Abstand zwischen sich hinter einer Art Wall, von denen die eine den Betrachter anspricht, während die andere ihr zuzustimmen scheint. Bei dieser Körperhaltung könnte die Szene bedeuten, dass man den Betrachter in die Ecke gedrängt hat (man steht so weit auseinander um eine Flucht zu verhindern) und ihn nun rüffelt.
Das liegt natürlich auch an der Aufnahme, aber nur so kann man sich Dinge bewusst machen, die sonst an einem vorbei rauschen.
Die Beispiele sollen keinesfalls die Kollegen diskreditieren, sondern nur deutlich machen, dass das, was mit Studiodesign und Elektronik gemacht wird, nicht immer hilfreich ist.
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 15. April 2012