Stuttgart 21: Sichtbare Unwahrheiten
 
Wie der Bürger für dumm verkauft wird
 
Für 70 000 Euro wurde auf dem Gelände des ehemaligen Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofes eine nachts beleuchtete riesige Leinwand aufgespannt, die zeigt, wie schön es hier mal werden soll. Siehe Foto oben. (Den Nordflügel musste man ja angeblich ganz schnell abreißen, wobei man nicht mal auf das Gerichtsurteil zum Urheberrecht des Enkels warten konnte.)
Die Darstellung entspricht weitgehend dem seit Jahren im Rathaus stehenden Stadtmodell. Siehe Foto unten.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Dessen Korrektheit wurde bisher meines Wissens kaum angezweifelt, obwohl jeder Stuttgarter, der den Platz vor dem Hauptbahnhof kennt, eigentlich sofort sehen könnte, dass da etwas nicht stimmt. Die doppelte Baumreihe vor dem Hindenburgbau kann dort gar nicht wachsen, weil es an Erde mangelt. Direkt darunter befindet sich die Klettpassage, beziehungsweise die Läden, die teilweise mit den Geschäften im Hindenburgbau verbunden sind. Die einzigen kleinen Bäume auf dem Bahnhofsvorplatz befinden sich in einer Art Hochbett zwischen Straße und Fußgängerweg. Und wo es keine Erde gibt, können auch keine Bäume wachsen. Als Faustregeln kann man sagen: So viel Platz, wie die Krone braucht, sollten auch die Wurzeln haben. Ausnahme sind Flachwurzler, die dafür leichter umfallen.
Außerdem müsste für die Baumreihe das Glasdach, also der Regenschutz der Fahrgäste der verschiedenen Buslinien teilweise beseitigt werden, der es erlaubt im Trockenen zwischen S- und U-Bahn (unterirdisch) sowie Bussen (oberirdisch) umzusteigen. Zum Teil stehen die Bäume auch da, wo sich heute der Aufgang aus dem Untergrund mit Rolltreppe und Lift befindet.
Ähnlich verhält es sich direkt vor dem Bahnhofsgebäude auf der anderen Seite. Ganz abgesehen einmal davon, dass die Baumreihe dort die Arkaden verdecken würde, die zu den Stadtbild prägenden Eigenschaften des Bahnhofes gehören.
Besonders amüsant ist, dass in der Ausstellung der Bahn im Bahnhofsturm ein ähnliches Modell steht, aber auch ein Weiteres, das realistischer ist. Siehe Foto unten.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Allerdings ist auch hier die Baumreihe vor dem Hindenburgbau zu groß geraten. Die kleinen Bäumchen, die hier mal in den Hochbeeten standen sind mittlerweile eingegangen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Es wird dem Bürger also beim Modell im Rathaus ein grünerer Bahnhofsvorplatz als Folge von Stuttgart 21 vorgegaukelt. Es ist zu vermuten, dass das auch für die doppelte Baumreihe hinter dem Bahnhof zuträfe, da sich unter ihr ja ebenfalls die Zugänge zu den Gleisen des Tiefbahnhofes befinden dürften.
Sicher ist, dass das Stadtmodell im Rathaus auch an anderer Stelle Bäume vorsieht, die dort niemals wachsen werden, etwa an der Straße von der Heilbronnerstraße zum Pariser Platz.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Da diese Straße - wie am Geländer rechts zu erkennen - zum guten Teil über anderen Bauten oder Abstellplätzen verläuft, fehlt es auch hier am nötigen Erdreich für große Bäume.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der rote Pfeil zeigt die „unmögliche Allee“ zum Pariser Platz.
Der blaue Pfeil zeigt auf ebensolche Bäume über dem Tiefbahnhof, denn die geplanten 50 cm Erde reichen für die meisten Bäume nicht, wie man ja auch an der Hochbeeten vor dem Bahnhof sehen konnte.
Fehlerhafte Modelle als Entscheidungsgrundlage?
Die Stadt Stuttgart und die Bahn arbeiten also mit Modellen, die nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen. Vermutlich haben die Parlamentarier sich auch von diesen Modellen bei ihren Abstimmungen beeinflussen lassen, denn Pläne lesen (wenn man sie überhaupt bekommt) ist noch mühsamer.
Der Bürger, der sich im Rathaus oder im Bahnhofsturm informieren möchte, fühlt sich - milde formuliert - nicht ernst genommen und wird misstrauisch. Wer Bäume an Orten verspricht, an denen das technisch gar nicht möglich ist, dem sind auch andere Fehler zuzutrauen. Dabei spielt es keine Rolle, ob aus Nachlässigkeit, oder Absicht. Unrealistische Darstellungen sind eben nicht die ganze Wahrheit.
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Dienstag, 15. März 2011