Schenken? Geschenkt!
 
In einer Schenke wird eingeschenkt. Gegen den Durst - und zum Vergnügen. Das Wort „Geschenk“ kommt aus der Schenke und steht ebenfalls für Notwendiges, etwa die Almosen für Arme, als auch Luxus, wie Pralinen.
Dieses „Einschenken“ von Bier, Most und Wein war kein Geschenk, sondern eine Ware oder Dienstleistung, die man gegen Geld eintauschte. Beim Wasserverkäufer im Orient wird auch nicht das Wasser, sondern sein Dienst bezahlt.
Füllt der Wirt das Glas aber über den Eichstrich, dann hat er doch etwas verschenkt, um das Wohlwollen des Gastes zu erwerben, oder zu behalten, er macht also ein Werbegeschenk, wie viele Jünglinge, die um ein Mädchen werben; wie Stämme, die durch Geschenke den Frieden erhalten wollten. Geschenke sollen Beziehungen verbessern.
Schenken ist international und etwas zutiefst Menschliches. Dänische Hirnforscher fanden kürzlich heraus, dass sogar symbolische Geschenke, wie ein Blumenstrauß in einer anderen Hirnregion verarbeitet werden, als der Anblick dieser Blumen auf einer Wiese. Die geschenkten Blumen wurden in jener Hirnregion registriert, die bisher nur der Sprache zugeordnet wurde. Schenken ist demnach eine Form der Kommunikation.
Dass Schenken nicht nur altruistisch ist, bestätigt das Sprichwort: „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.“ Man nennt ein Geschenk auch „eine kleine Aufmerksamkeit“. Doch wie oft hört der Schenkende: „Das wär' doch nicht nötig gewesen!“ Denn: Ein Präsent kann auch sozialen Druck aufbauen, nach dem Motto: „Wie Du mir, so ich Dir.“
Bekommen neu Zugezogene Salz und Brot geschenkt, soll das eine gute Nachbarschaft begründen. Das Gastgeschenk, das Mitbringsel anerkennt die Mühen des Gastgebers und dankt ihm für die Einladung.
Auch die Götter vieler Kulturen sind für Geschenke empfänglich. So opfern einige Gläubige ihnen, symbolisch Weihrauch, Kerzen, Blumen, andere ganz reale Werte, Geld im Opferstock, Früchte, lebende Tiere, etwa den biblischen Sündenbock, oder, wie Azteken, Inkas und Mayas sogar Menschen.
Im Islam werden manchmal Bettler als gesellschaftliche Notwendigkeit angesehen, die dem Reichen das Schenken von Almosen überhaupt erst ermöglicht, so dass der seine soziale und religiöse Gesinnung beweisen kann. Schenken wird so zum Nachweis von menschlicher Güte und Reife.
Überhaupt verrät die Art des Schenkens Einiges über den Zustand und die Kultur eines Landes. Denn Schenken erfordert ja, wenn es Freude machen soll, eine gewisse Kenntnis des Beschenkten. Nur so kann man ihn überraschen und beglücken. Selbst bei einem Buchgeschenk kommt es darauf an den Geschmack des beschenkten Lesers zu treffen.
Wenn der Wirt sagt: „Probieren sie mal den, der könnte Ihnen schmecken“, belegt das ebenfalls Mitdenken und Einfühlungsvermögen.
Geschenke für Männer stecken sogar in anderem Geschenkpapier, als für Frauen oder Kinder. Es dient nicht nur zum Schutz, sondern erhöht die Spannung, steigert die Freude beim Ritual des Auspackens.
Während hierzulande früher sehr darauf geachtet wurde, dass ja kein Preisschildchen am Geschenk verrät, was das gute Stück gekostet hat, ist es für den Beschenkten in China wichtig zu wissen, was der Schenkende ausgegeben hat. Denn darin spiegelt sich ja dessen Wertschätzung.
Doch Deutschland hat aufgeholt. Immer häufiger trafen - besonders zu Weihnachten - Geschenke den Geschmack oder die Bedürfnisse der Beschenkten nicht. Folglich entwickelten sich die Tage nach den Feiertagen zu Umtauschorgien. Das ist aber nur mit Kassenzettel und Etikett an der Ware möglich.
Das Pflegen von Beziehungen tritt dabei immer mehr in den Hintergrund. Schenken wird zunehmend zur lästigen Pflicht zum Austausch von Gütern. Wer sich für ganz modern hält, es sich aber nur besonders einfach macht, der überlässt dem Beschenkten die ganze Arbeit und gibt Geld. Soll doch der sich den Kopf zerbrechen was er damit anfängt.
Das ist, als ob der Wirt den Gast auffordert sich sein Getränk im Supermarkt selbst zu besorgen.
Noch einen Schritt weiter sind arme Leute und Mütter im Feststress, die in der Familie verabreden: „Wir Erwachsene schenken uns nichts!“ Das klingt bedrohlich. Geschenke, gar Kunst des Schenkens? Geschenkt!
Das ist natürlich die ultimative Rationalisierung des Schenkens. Keine Zeitverschwendung für Überlegen, Aussuchen, Besorgen, keine Geldausgabe, keine Bescherung, keine liebevollen Überraschungen, keine Freude und Dankbarkeit.  
An der Schenke hinge ein Schild:
„Geschlossen wegen Geschäftsaufgabe.“
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 24. Dezember 2008