Ex und hopp im Kleinen wie im Großen
Nachhaltige Reparatur ist oft teuerer, als umweltbelastende Neuanfertigung.
 
Die Tür im Bild unten hat einen Lackschaden. Aus irgend einem Grund hielt der obere Anstrich nicht auf dem unteren Anstrich. Um einen einwandfreien Anstrich zu erreichen, müsste man den gesamten Lack entfernen. Das kann mechanisch, durch Abschleifen, oder chemisch durch Ablaugen geschehen. Danach müsste der Anstrich komplett neu aufgebaut werden, das heißt: Grundierung, 1. und 2. Anstrich. Die Kosten dafür liegen bei etwa 200 bis 250 €, oder mehr. Dazu müssten die Türen ausgehängt und an einem anderen Ort bearbeitet werden.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Im Baumarkt gibt es weiße Türen ab 25 € komplett mit Zarge für 80 €. Eine höherwertige Tür ebenfalls weiß mit Zarge kostet 210 €. Dazu müsste man noch Bauschaum kaufen, um den Zwischenraum auszuschäumen.
Das bedeutet: Statt einen Handwerker für jede Tür etwa insgesamt einen Tag zu beschäftigen und ein wenig Farbe zu verbrauchen, was ungefähr 200 bis 300 € kostet, liegt es nahe im Baumarkt eine komplett neue Tür zu kaufen und sie anstelle der bisherigen Tür zu montieren. Dabei ist die alte Tür völlig funktionstüchtig und nur der Lack ist ab. Dass die Tür aus dem Baumarkt einen zusätzlichen Transport erfordert sowie das Herausreißen und Entsorgen der bisherigen Tür, wird dabei genauso wenig beachtet, wie die Tatsache, dass die alte Massivholztür eine bessere Qualität hat, als die neue Tür aus dem Baumarkt. Das Beispiel zeigt, dass menschliche Arbeit offenbar so teuer geworden ist, dass mit Hilfe von Maschinen billig hergestellte mindere Qualität scheinbar wirtschaftlicher ist.
Dass die umweltfreundlichere Reparatur unterbleibt und dafür Umwelt belastendere Neuanschaffungen durchgeführt werden, kann man nicht nur zuhause im Kleinen, sondern auch bei großen Projekten beobachten:
 
Neubau statt Renovierung oder Sanierung
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
An dieser Stelle stand bis vor kurzem ein großes Bankgebäude sowie eine Vielzahl kleinerer Gebäude, die zum Teil erst wenige Jahre alt waren. An ihre Stelle wird nun ein großes Gebäude gebaut, das dem Stadtviertel ein völlig neues Gesicht geben wird. Alle Menschen, die bisher in diesem Viertel gearbeitet haben oder hatten, verloren damit einen Teil ihrer Geschichte. Zudem ging in 2 Straßen die kleinräumige Aufteilung der Fassaden verloren, die Vielfalt und Individualität der Gebäude und ihrer Bauherren spiegelte. Für den Investor war es billiger sogar ganz junge Gebäude (Foto?) abzureißen, als sie in seine Planung einzubeziehen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Das alt eingesessene Kaffee Kipp wird ebenfalls einen Investor zum Opfer fallen, der den gesamten Block umbauen wird. Angeblich bedauert der Investor Herr Piech, der die Villa Levi sehr schön restaurierte, aber leer stehen lässt, dass das Café nicht erhalten werden kann. Einleuchtende Gründe wurden nicht genannt.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Die ehemalige Oberpostdirektion wurde komplett abgerissen und neu gebaut, wobei alle Steine der  Fassade mit Nummern versehen wurden damit sie später an der selben Stelle wieder eingefügt werden könnten.
Der Hintergrund: An dieser Stelle wäre ein Neubau mit denselben Maßen nicht genehmigt worden. Also versprach man einen Wiederaufbau mit den selben Materialien. In Wirklichkeit ging es also darum möglichst viel umbauten Raum zu errichten und zu verkaufen oder zu vermieten. Wenige Jahre später wurde das Gebäude aufgestockt um weiteren Raum und damit weitere Einnahmen zu erhalten. Dass die neue Fassade nicht exakt eine Kopie der alten Fassade wurde, verwundert wenig. Die ursprünglich buckligen Steine wurden durch solche mit glatter Oberfläche ersetzt. Ob es die alten Steine sind die geglättet wurden, oder neue Steine, lässt sich schlecht überprüfen da beim Glätten der Steine selbstverständlich die mit weißer Farbe drauf geschriebenen Nummern verloren gingen. in diesem Fall ist nicht klar, ob der Neubau wirklich billiger war, oder ob durch die völlige Umgestaltung des Inneren und das spätere Aufstocken eine wesentlich bessere wirtschaftliche Verwertbarkeit geschaffen wurde, die eventuell höhere Kosten ausgeglichen hat.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der Hauptbahnhof Stuttgart - von 1921-1956 Wahrzeichen der Stadt - dessen Leistungsfähigkeit zur Zeit nicht ausgeschöpft wird, wird von der Deutschen Bahn auf Kosten des Steuerzahlers in einen unterirdischen Bahnhof umgebaut, der weniger Kapazität haben wird, dafür aber rund 60 km Tunnel erfordert und sowohl den denkmalgeschützten Bonatzbau, als auch die daneben liegenden Schlossgartenanlagen und den Rosensteinpark, die ebenfalls unter Denkmalschutz stehen, beschädigt und auf Jahre zur Baustelle macht.
Hintergrund: Eine Sanierung oder Renovierung des bestehenden Bahnhofes hätte von der Bahn bezahlt werden müssen. Der Neubau wird weit gehend vom Steuerzahler bezahlt. Für die Bahn ist das ein hervorragendes Geschäft, bei dem sie einerseits den Denkmalschutz los wird, andererseits bisher genutzte Flächen an die Stadt oder Investoren verkaufen kann, obwohl diese Grundstücke eigentlich dem Bund gehören.
Dass im Zuge dieses Neubaus der Stückgutbahnhof in der Stadtmitte aufgegeben wurde, sorgt dafür, dass mehr Lastwagen als nötig täglich in die Stadt fahren müssen. Nachdem dieses Gelände jahrelang brach lag, was erhebliche Verluste bedeutete, wurde ein großer Teil inzwischen mit Neubauten gepflastert, deren Attraktivität für Fußgänger nahe Null liegt. Es wird also - entgegen den Beteuerungen der Bahn und der Stadt - kein lebendiges neues Stadtviertel entstehen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der „Brotkasten"  Königsbaupassagen wurde ebenfalls auf einem ehemaligen Post-Grundstück, sowie auf Grundstücken anderer errichtet. Der alte Gasthof „zu den 3 Mohren", der unter Denkmalschutz steht, wurde dafür extra ins Bohnenviertel verlegt. An Stelle der ehemaligen Hauptpost entstand ein Einkaufszentrum samt Tiefgarage, dass den davor befindlichen Königsbau durch seine Masse fast erdrückt. Das sieht man sowohl vom Schlossplatz, als auch von den südlichen Hängen des Talkessel.
Der Bau wurde am Tag nach der Fertigstellung verkauft. Für einen schwäbischen Häuslebauer ein klares Zeichen dafür, dass entweder das Konzept, oder die Bausubstanz nichts taugt, denn wenn man etwas Anständiges gebaut hat, warum sollte man das verkaufen? Und in der Tat klagen die Läden in diesem Einkaufszentrum darüber dass das Konzept nicht funktioniert und es gibt erheblichen Wechsel bei den Mietern. Aber der Investor hat sein Geld gemacht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Die WGV Versicherungen haben in den letzten 60 Jahren mehrere neue Hauptverwaltungen gebaut. Die eine entstand am Österreichischem Platz gegenüber Sankt Mariä in eckiger Form und Waschbeton. Sie wurden mittlerweile wieder abgerissen. Daneben entstand die nächste Verwaltung zwischen Tübinger und Hauptstädterstraße.
Der Laie würde annehmen, dass die Architekten und die Versicherung Pfusch gebaut hätten, weil die Gebäude nur wenige Jahrzehnte genutzt wurden. Dahinter steckt jedoch betriebswirtschaftliches Denken: Versicherungen legen das Geld in Immobilien an. Sind diese abgeschrieben, bringen sie keine steuerlichen Vorteile mehr. Das bedeutet die Versicherungsnehmer und der Steuerzahler tragen mit ihrem Geld dazu bei, dass die Innenstädte immer wieder zu Großbaustellen und mit architektonisch fragwürdige Gebäuden verschandelt werden. Hinzu kommt, dass die Versicherungsnehmer an diesen Steuergewinnen der Versicherungen nicht beteiligt werden. Man braucht sich also über das Wohlergehen der Versicherungen keine Gedanken machen. Es wäre aber wünschenswert, dass der Gesetzgeber diesen Missbrauch steuerlicher Vergünstigungen verhindert.
 
Das Foto ganz oben zeigt Krankenhaus-Nachtische aus Metall, die weggeworfen wurden.
 
Carl-Josef Kutzbach
Donnerstag, 13. September 2012