Trallala statt Nachrichten
Medien decken Arbeitsverweigerung
der Politik und der Mächtigen
 
Immer weniger Nachrichten, aber eine immer ängstlichere Bevölkerung, wie passt das zusammen? Stimmt die Behauptung überhaupt? 80 % nennen bei Umfragen "Sicherheit" als wichtigsten Wunsch, ein deutliches Indiz für Besorgnis. Und die Medien? Seit die ZEIT vor vielen Jahren ihr Layout umstellte, große weiße Flächen ins Blatt holte und dafür Inhalte strich, ist der Trend bei vielen Blättern zu beobachten, bei einer Änderung des Layouts auf mehr große Bilder, weiße Flächen und weniger Text zu setzen. Der Kunde bekommt also weniger Information für sein Geld. Auch beim Funk war die "Entwortung" der Programme zu Gunsten von Jingles und Musik einer bestimmten, zur Hörerzielgruppe passenden Richtung zu beobachten. Die Kürzung und Verschiebung der politischen Sendungen im Fernsehen wurde beklagt, aber trotzdem durchgezogen. Blätter wie focus (Spiegel light) fanden ihre Kundschaft.
Dafür bietet das Internet Informationen in großer Zahl, auch seriöse Informationen, wenn man Fremdsprachen beherrscht umso mehr. Dass ausgerechnet die Verleger die ARD drängten mit Gebühren erstellte Inhalte zu löschen, zeigt, dass ihnen nicht nur die Breite, sondern offenbar auch die Qualität mancher Medienangebote (z.B. Deutschlandradio) Sorgen bereitet. Das ist verständlich, wenn man weiß welchen Aufwand Öffentlich Rechtliche Sender für seriöse Beiträge aufwenden können und wo Aufwand und Honorare bei den meisten Printmedien liegen. Ein Korrespondentennetz wie die ARD kann sich kein Blatt leisten. Allerdings wird auch kein Blatt zum Preis der Rundfunkgebühr an alle gut 80 Millionen Bürger verteilt.
Dass die Öffentlich Rechtlichen von der Politik zur Konkurrenz mit den Privaten gezwungen wurden - und das mit der von Matthias Richling trefflich beschriebenen "Einfaltsquote", die den kleinsten gemeinsamen Nenner zum Maß aller Dinge macht - hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass das Niveau sank und sich viele Sendungen und Programm beim Hörer anbiedern, statt zu versuchen ihn zu bereichern, zu überraschen und zu beschenken.
Die Tagesschau hat seit Langem ein "Schlusslicht", in dem Heiteres, Skurriles, Kurioses geboten wird. Manchmal machen die Sprecher auch für eigene Sendungen Werbung. Das "Schlusslicht" (gehört eigentlich an das Ende eines Zuges) erinnert ein wenig an das "Streiflicht" der Süddeutschen, das aber ganz anders funktioniert. Auch bei vielen anderen Medien findet der Nutzer heute häufig Banales, Abseitiges, Populäres in so genannten Nachrichten. Auch das senkt den Anteil dessen, was man als ernsthafte Information (Nachrichten kommt von da-"nach richten") bezeichnen kann.
Eigentlich sollte das beruhigen, wenn nur noch wenige, wirklich bedeutsame Inhalte vermittelt werden. Tut es aber nicht. Warum? Lässt man die Form der Präsentation bei einigen Medien, die aus Nachrichten eine Schau machen, außer Acht (denn das irritiert nur einige Nutzer) dann muss es wohl an einem Zwiespalt liegen zwischen dem was man selbst erlebt, und dem, was die Medien transportieren.
Dabei spielen auch die Bilder eine Rolle. Um ihre Aufnahmen zu verkaufen versuchen Fotografen möglichst ausgefallene Blickwinkel und dramatische Szenen einzufangen. Da die Bildhonorare sinken und durch Material von "Leserfotografen" obendrein Konkurrenz droht, bestimmt also die wirtschaftliche Not den Bildaufbau und nicht etwa das Bemühen einen Vorgang sachlich und nüchtern zu beschreiben. Es werden Gefühle, statt die Vernunft angesprochen (Bei Redakteuren und Nutzern).
Ein ähnlicher Vorgang beim Radio: Bunt muss es sein. Also werden Geräusche - wie in Werbesendungen - hinzu gemischt, die dem Hörer einreden, er wäre am Ort des Geschehens und mittendrin. Dazu müssen dann möglichst viele Stimmen etwas sagen, die oft nicht mehr als ein zwei Sätze absondern dürfen, ehe sie ausgeblendet, oder unterbrochen werden. Alle Denkpausen und "Ähs" (Schaltgeräusche des Hirns in der Sprache) werden heraus geschnitten. Ja, es gibt Redaktionen, die Menschen mit Sprachfehlern oder ungelenker Spreche gar nicht in ihren Beiträgen hören wollen. Die Form dominiert also über den Inhalt, während in der ganzen Natur, aber auch bei gutem Design, die Funktion, der Inhalt die Form bestimmt.
Hinzu kommt der Trend zur Kürze. Journalisten spotten seit Jahrzehnten: "Im Fernsehen kann man alles bringen, nur nicht länger als 70 Sekunden!" Die vor allem in Magazinprogrammen genormten Längen machen aber jeden Beitrag gleichwertig, gleichgewichtig, gleichbedeutend, was die Orientierung des Nutzers erschwert. Wieder dominiert die Form über den Inhalt. Natürlich dient das auch der Bequemlichkeit der Redaktionen und der Möglichkeit Beiträge mehrfach in verschiedenen Programmen und Sendern zu verwerten, was Kosten senkt, aber eben auch zu einer gewissen Beliebigkeit führt und zugleich die Arbeitsmöglichkeit der Freien einschränkt, die etwa 80 % des Programms gestalten, dafür aber bei WDR unter 10% vom Umsatz abbekommen.
Da immer mehr junge Leute meinen, sie müssten als Beruf "etwas in den Medien machen" und dabei keine Ahnung von der schlechten wirtschaftlichen Lage der Journalisten wissen, sie das auch gar nicht interessiert, weil sie hoffen ein Star oder Tagesschausprecher zu werden, fällt es den Medien leicht alte erfahrene Journalisten durch jüngere, billigere zu ersetzen, die hoffen, dass die Honorare irgend wann mal zum Leben reichen werden, wenn sie erst dick im Geschäft seien. Dadurch verlieren die Medien aber Kompetenz, denn junge bieten Themen als "neu" an, die bei Alten Hasen nur ein müdes Lächeln hervorlocken, weil sie wissen, dass das schon zwei, drei Mal in den letzten Jahrzehnten im Blatt stand, oder über den Sender ging. Wesentlicher ist aber, dass die Erfahrung der Älteren, die das Einordnen von Ereignissen erleichtert, häufig fehlt, so dass der Nutzer weniger Orientierung bekommt.
Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft, wo immer mehr Menschen über Jahrzehnte zurück blicken können, fällt es auf, wenn das die Medien nicht mehr können. Kein Wunder, dass die über 60-jährigen vorwiegend die Informations- oder Klassikprogramme bevorzugen, bei denen sie eine gewisse Solidität und Seriosität spüren. Wer diese Programme nun für Jüngere anziehend zu machen versucht, indem er Inhalte flapsiger Vermittelt, oder eine lockerer Spreche, ein höheres Sprechtempo, oder mehr Inhalte anbietet, die Jüngere reizen könnten, verliert voraussichtlich die Älteren, ohne das durch einen Zuwachs an Jüngeren ausgleichen zu können.
Auch die Umbrüche in der Medienlandschaft könnten zur Unsicherheit und Ängstlichkeit Vieler beigetragen haben: Wenn SWR 1 sich permanent und penetrant selbst lobt, dann schreckt das Leute ab, die mit dem Merksatz erzogen wurden: "Eigenlob stinkt!" Wer sieht, wie in manchen Programmen Menschen vorgeführt und aufeinander gehetzt werden, wie Privates zur Belustigung öffentlich gemacht wird, der fragt sich, wer dafür bezahlt. Es ist die Werbung auch seriöser Unternehmen, die derartigen Müll unterstützt. Das damit gerade bei jungen Menschen ein fragwürdiges Menschenbild erzeugt wird, interessiert offenbar niemanden. Dass heute jeder durchschnittliche Fernsehzuschauer bis er erwachsen ist, mehr Tote und Morde gesehen hat, als ein Mensch vor 100 Jahren in seinem ganzen Leben, verändert natürlich auch das Weltbild.
Manche Menschen meinen heute, man müsse unbedingt mal im Fernsehen zu sehen gewesen sein, um ein richtiger Mensch zu sein, egal wie, warum und mit welchen Inhalten. Auch hier sind Politiker nicht unschuldig, die selbst um ihrer Medienpräsenz Willen in Sendungen gehen, die sich zwar "hart aber fair" nennen, dies aber vom ganzen Aufbau her überhaupt nicht sind, wie Medienforscher zeigen konnten. Wenn aber schon die Überschrift nicht stimmt, dann führt das ebenfalls zur Unsicherheit. Dass im Internet irreführende Überschriften benutzt werden, um die Nutzer zum Weiter-klicken zu verführen, macht die Sache nicht besser.
Den wichtigsten Grund für die Ängstlichkeit und die Sorgen der Bevölkerung dürfte aber sein, dass die Lebenswirklichkeit mit dem Bild, das in den Medien erscheint, immer weniger zu tun hat. Angefangen bei den elektronisch aufpolierten Stimmen der Sprecherinnen und Ansager, über die farbgesättigten Fernsehbilder, die imposanten Studioeinrichtungen bis hin zu den Sprachschablonen.
Das Gleiche gilt für viele Inhalte: Statt Fakten zu vermitteln, werden Geschichten erzählt. Möglicherweise ein Übersetzungsfehler aus dem Englischen, in dem "story" so viele Bedeutungen hat, dass man nur aus dem Zusammenhang erkennen kann, ob es sich um einen seriösen Artikel, handelt, oder um ein Märchen, einen Schwank, oder gar um eine Etage und ein Geschoss. Vermutlich kommt die heute in vielen Reaktionen zu hörende Forderung "man muss eine Geschichte erzählen" daher, dass englische Journalisten unter "tell a story" auch verstehen können, dass man die Fakten so ordnen muss, dass sie einen roten Faden ergeben, also sich der Sinn dem Nutzer gut erschließt (z.B. Ursache - Wirkung - Folgen).
Dagegen wird ein Geschichtenerzähler versuchen den Nutzer sofort zu fesseln, indem er ihm schon im ersten Satz irgend etwas Seltsames oder neugierig Machendes präsentiert, zu dessen Erklärung er dann den Rest des Beitrags braucht. Das machten viele Krimiautoren so, aber bei journalistischen Texten ist es fragwürdig, denn es verwirrt eher, als es Klarheit und Einordnung ermöglicht. Hier spielt wieder die Angst eine Rolle der Nutzer könne sich abwenden, weg-klicken oder umschalten. Also wieder steht nicht der Nutzen für den Nutzer im Vordergrund, sondern der des Mediums. Kluge Nutzer spüren das und sind verärgert. Damit geht aber auch das Vertrauen in die Medien verloren.
Die Boulevardisierung, die Betonung der Oberflächlichen, Eigenwerbung, Einschaltquoten-Orientierung, Verkürzung, Reißerisches und Nebensächliches erschweren dem Nutzer von Nachrichten und Informationsbeiträgen heute die Orientierung.
Was sein Vertrauen in die Medien aber auch senkt ist, dass die Lebenswirklichkeit mit dem was Medien und in ihnen die Politik verkünden, schon lange nicht mehr übereinstimmt. Nichtwähler und Abbestellungen von Zeitungen sind Warnsignale. Dabei geht es oft nicht einmal darum, dass jemand auf Grund seines Einkommens und dem Vergleich mit der Inflation nachrechnet, dass seine verfügbare Kaufkraft im letzten Jahrzehnt gesunken ist, obwohl die Belastung am Arbeitsplatz stieg (Computer, Mobilfunk, Internet, kein konzentriertes ungestörtes Arbeiten mehr).
Es sind eher Gefühle, die sich dann in Leserbriefen, oder am Stammtisch Luft machen. Dabei gibt es zwei Grundstimmungen. Die einen sagen: "Klar geht das nicht mehr lange gut, aber so lange versuche ich mein Leben noch zu genießen." Und die Anderen sagen: "Das geht nicht mehr lange gut so, aber ich allein, was kann ich tun, selbst, wenn ich wüsste, was zu tun wäre..." Manche sagen auch: "Eigentlich müsste es schon längst geknallt haben, aber irgend wie scheint es doch immer weiter zu gehen. Also kümmere ich mich nicht mehr drum."
Dieser Rückzug ins Private funktioniert teilweise, weil es gelang Andere für uns arbeiten zu lassen. Schwere Arbeiten wurden ins Ausland verlagert, oder - wie beim Bau - an ausländische Arbeiter vergeben, für denen Gesundheitsschäden später nicht die hiesigen Krankenkassen und Rentenversicherungen bluten müssen. Lebensmittel reisen heute um den halben Globus, selbst wenn man sie bei uns ernten könnte. Aber dann wären sie wegen der höheren Löhne nicht so billig. Dafür haben wir Arbeitslose, knausern bei deren Versorgung und behaupten, sie seien selbst an ihrer Misere schuld. Diese Unsicherheit und Verlogenheit macht dem Bürger Angst.
Gemäß dem römischen Motto "Brot und Spiele" stellt die Politik mit Lebensmittelsubventionen und medialen und realen "Events" das Volk ruhig. Gäbe es nicht die Billigläden, die den kleinen Einzelhandel (und die Umwelt) zerstören, gäbe es nicht rund um die Uhr mediale Berieselung und Fluchtmöglichkeiten aus der Wirklichkeit durch Medien, Kino, Disco, Volksfeste, Tage der offenen Tür oder Stadtfeste, wären die Bürger vielleicht längst explodiert, sei es wegen der höheren Lebensmittelpreise, sei es weil sie über ihr dann deutlicheres Elend nachgedacht hätten.
Genau dasselbe haben wir bei den Medien. Ablenkung, Irreführung, Vernebelung der tatsächlichen Zusammenhänge und Unterhaltung durch Politiker, die sich in Szene setzen (Guttenberg), statt ihre Arbeit so solide zu leisten, dass der Bürger relativ sorglos bis zur nächsten Wahl zuwarten könnte. Statt dessen muss er sich selbst darum kümmern, die größten Mängel von Projekten selbst aufdecken (Stuttgart 21), politische Fehlentscheidungen durch Demonstrationen ankreiden (Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke, Studiengebühren), muss sich Sorgen um sein Leben im Alter machen ("Die Renten sind sicher!"; Pflegeversicherung, Private Zusatzversicherung) und hat häufig den Eindruck, dass die Politik längst den Überblick verloren hat und sich nur noch durchwurstelt (87% glauben, dass Politiker sich mehr am Machterhalt, als am Gemeinwohl orientieren).
Wenn die Politik dann wieder mal eine Lösung gefunden hat, bei der der gesunde Menschenverstand sofort fragt: "Wie soll das denn gut gehen; wer soll das denn bezahlen?" Dann wird davon gesprochen, es gäbe ein "Vermittlungsproblem", oder das Projekt sei schlecht "kommuniziert" worden, statt sich zu fragen, ob man nicht vielleicht selbst einen Fehler gemacht habe. Spätestens wenn das Bundesverfassungsgericht mal wieder ein Gesetz als mangelhaft kritisiert und den Gesetzgeber zur Nachbesserung auffordert, seufzt der Bürger: "Aha, mal wieder Pfusch!"
Ähnlich ergeht es dem Bürger, wenn irgend ein politischer Dummkopf den Arbeitslosen vorhält, sie wollten ja gar nicht arbeiten, obwohl ein Blick in die (sowieso schon geschönte) Statistik zeigt, das auf eine Stelle zehn Arbeitslose kommen, also neun gar keine Chance auf Arbeit haben. Bei so viel Unredlichkeit und Kurzsichtigkeit geht das Vertrauen der Bürger natürlich zurück. Wenn aber die Medien diese Problematik nicht brandmarken, sondern sich weitgehend mit Trallala und Beiträgen begnügen, die Begriffe wie Nachdenken, Recherche, Vierte Gewalt, gar Investigativen Journalismus in den Bereich von Sonntagsreden verlagern, dann tragen die Medien fahrlässig zur Krise des Landes und der Demokratie bei.
Selbstverständlich sind längst auch einige Nutzer mit diesem Trallala zufrieden, weil sie gar nicht mehr wissen, wie es anders sein könnte, wie eine seriöse Politik und seriöse Medien aussehen könnten. Ihnen ist auch längst nicht mehr klar, ob die Pleite eines Eurolandes schlimmer ist, als Helge Schneiders Abbruch seiner Tournee, oder der mögliche Verkauf eines deutschen Autobauers, geschweige denn welche Folgen das für ihn selbst haben wird. Es ist ja sehr bequem, wenn man sich um nichts kümmert. Aber eine Demokratie ist eben keine Staatsform, bei der man die Hände in den Schoß legen kann und nur alle par Jahre ein Kreuzchen machen darf, sondern sie ermöglicht und erfordert, dass möglichst Alle jederzeit aufpassen, dass nicht einige Mächtige ihre Interessen zu Lasten der Allgemeinheit verfolgen (z.B. Banker die an der Börse zocken und die Folgen dem Steuerzahler aufbürden).
Wir haben im Moment den von den Vätern des Grundgesetzes nicht vorgesehene Fall, dass sich Mächtige und Politiker davor drücken ihre Aufgaben zu erledigen, wie das im Gesellschaftsvertrag der Demokratie eigentlich vorgesehen ist. Und diese Arbeitsverweigerung führt zur gesellschaftlichen Spaltung und macht dem Bürger Angst. Denn die Zeche, wird er zahlen, nicht Politiker, deren Renten bisher tatsächlich sicher sind.
 
Das Bild zeigt eine Zeitung mit aufgeklebter Werbung, die der Leser erst entfernen muss, wenn er den Artikel darunter lesen will. Werbung dominiert hier über den Zweck, zu dem der Leser die Zeitung erwarb. Ein Frechheit, die den Machern offenbar nicht bewusst ist.
 
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 15. Juni 2011