Gurkensalat-Erkenntnis
Kann man seinem Geschmackssinn noch trauen?
 
Die letzte Scheibe der Salatgurke, die ich mit einem scharfen Messer abschnitt, fiel in die Schüssel. Den kleinen Rest, den zu zerschneiden ich für zu gefährlich befand, steckte ich in den Mund. Da traf mich die Erkenntnis mit dem faden Beigeschmack der langweiligen Gurke. Diese  normale Gurke, obwohl sie sehr appetitlich ausgesehen hatte, schmeckte noch langweiliger, als die Biogurken, die ich sonst zu kaufen pflege. Dabei war sie ein Prachtexemplar von Gurke gewesen, kräftig grün, fest, fast grade, ohne Macken und Makel, so dass ich den Kauf wagte. Plötzlich begriff ich, dass die Verwirrung und Täuschung schon so weit um sich gegriffen hat, dass wir nicht mal mehr dem Aussehen der Lebensmittel trauen können.
Durch Züchtung und chemische Hilfsmittel sind unsere Lebensmittel zu charakterlosen, geschmacksarmen Trugbildern geworden. Wir können vom Aussehen eben nicht mehr auf die Qualität schließen, wie vielleicht noch die Großeltern. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass eine Salatgurke auch wirklich nach Salatgurke schmeckt, dass wir durch Anschauen, Anfassen und Riechen die Qualität von Lebensmitteln erkennen können. Wundert sich da noch jemand über Ernährungskrankheiten, wenn den Früchten die äußerlichen Hinweise auf gute Qualität zwar blieben, aber ihr Inhalt verwässert wurde? „Radieschen“, spottete ein Landwirtschaftsprofessor, „sind die hübscheste Verpackung von Wasser!“ Und so schmecken sie eben auch.
Wen wundert es da, wenn viele Lebensmittel, vor allem die Fertiggerichte, mit allen möglichen Geschmacksverstärkern angereichert werden, damit es uns schmeckt und wir dieses Produkt wieder kaufen. Dass mit dem Geschmack gar nicht mehr die Stoffe verbunden sind, derentwegen unser Körper Lust auf dieses Lebensmittel hat, ja sogar einen Bedarf, weil es wichtige Stoffe enthalten sollte, ja, das merken wir ja gar nicht mehr, denn wir wissen längst nicht mehr, wie gute Lebensmittel schmecken müssten. Wir essen dagegen Produkte, die in Marketingabteilungen entwickelt wurden, weil die Rohstoffe billig sind und der Kunde leicht zu verführen ist, wenn man ihm nur vorgaukelt etwas sei lecker, praktisch und obendrein gesund.
„Convenience-Produkte“ nennen es die Firmen. Das heißt zu deutsch: Diese Produkte kommen unserer Faulheit entgegen, unserer Unfähigkeit Qualität zu erkennen und unserem Wunsch für möglichst wenig Geld möglichst viel Geschmack zu bekommen. Selbst, wenn uns diese Produkte nicht direkt krank machen, so verhindern sie doch durch ihre Verlogenheit, dass wir merken, wie wir in die Irre geführt werden, so dass immer weniger Bürger wissen, was für sie gut ist, und wo sie lieber einen Bogen drum machen sollten, egal, ob wegen ihrer Gesundheit, wegen des Preis-Leistungs-Verhältnisses, oder um nicht noch den letzten Rest von Geschmackssinn zu verlieren.
Wenn wir aber erst verlernt haben für uns selbst zu sorgen, werden wir brav jedem folgen, der uns beteuert, er wisse, was für uns gut ist. „Führer“ nannte man das ab 1933!
 
Bild oben:
Angeschnittene Salatgurke sondert an der Schnittfläche Tröpfchen ab, ehe sie durch Trocknen der Schnittfläche weiteren Flüssigkeitsverlust vermeidet.
Carl-Josef Kutzbach
Dienstag, 5. Februar 2013 (vom 26.8.2007)