Gärtnern, mit Gewalt
Vom Handwerker und Künstler zum Maschinenführer
 
Ein schöner Frühsommermorgen, eben haben noch die Vögel gezwitschert, man räkelt sich im Bett, bedenkt den kommenden Tag, da plötzlich: Errrm, Errrm, Errrm schallt eine Motorsense aus dem Garten herauf! Aha, der Gärtner ist da, mit Motorsense, Rasenmäher, Heckenschneider, manchmal auch Säge, sowie Laubsauger oder Laubbläser. Also nix mehr mit Morgenstimmung. Rasch die Fenster zu, damit nicht zum Lärm auch noch die Abgase eindringen. Den Lärm können selbst die Schallschutzfenster nur dämpfen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der Tag fängt ja gut an, denn die Erfahrung lehrt, dass das jetzt ein paar Stunden, wenn nicht den ganzen Tag so weiter geht. Hinterher magst Du gar nicht mehr in den Garten, denn Gärtner und Motorsense machen keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, zwischen Zierpflanze und Unkraut, zwischen Immergrün und Schösslingen der Büsche und Bäume, die darüber stehen. Walderdbeeren, Glockenblumen, Königskerzen, alles wird auf eine Standardhöhe abgefräst. Das stört Unkräuter, wie etwa den Geißfuß (Aegopodium) überhaupt nicht, denn dessen unterirdische Triebe bleiben ja unbeschädigt. Um den wirklich zurück zu drängen muss man die Erde umgraben und alle Wurzelreste beseitigen. Aber für solche Feinheiten hat ein Gärtner heute keine Zeit und manchmal vielleicht auch schon das Wissen nicht mehr. Er wird nach Stunden bezahlt, nicht nach der Nachhaltigkeit oder Schönheit des Ergebnisses.
Und das Ganze passiert ja nicht nur im Garten des Hauses, in dem man wohnt, sondern in vielen Gärten ringsum. Am lautesten ist es natürlich, wenn der eigene und die direkten Nachbargärten "beackert" werden, denn die Technik stammt weitgehend aus der Landwirtschaft, wo man sehr große Flächen bearbeiten muss. Aber mittlerweile findet man im Gartenmarkt kaum noch Sense, Sichel oder Spindelrasenmäher zum Schieben und ohne Motor. Statt dessen gibt es Minitraktoren, von manchen "Ansitzmäher" benamst, die dem Benutzer das Mähen im Sitzen erlauben. Mancher geht eben lieber ins Fitness-Studio, statt den Rasen oder die Hecke von Hand zu kürzen, oder im Winterhalbjahr Bäume und Büsche mit Schere und Handsäge zu beschneiden.
Etwas weniger aufdringlich laut sind die Grundstücke auf der anderen Straßenseite, weil sich da des Gärtners Maschinenpark mit den Straßengeräuschen vermengt. Dafür kann sich der Schall längst der Straße ungehindert ausbreiten, so dass auch Geräte, die 2-300 Meter weiter eingesetzt werden störend laut zu hören sind, wenn man im Sommer die Schallschutzfenster öffnet, sei es um in der Küche den Dunst vom Kochen rauszulassen oder im Bad die Feuchtigkeit nach dem Duschen oder beim Wäschetrocknen, oder um Durchzug zu machen, wenn es sehr heiß ist.
Es sind also nicht nur die vier direkten Nachbarn und die weiteren vier Grundstücke, die nur an den Ecken mit dem eigenen zusammenstoßen, sondern noch mal ein, zwei Ringe von Grundstücken drum herum, also statt neun (mit dem eigenen) noch mal 16 oder 40 Grundstücke dazu, deren Gartenpflege mit Maschinen teils an Samstagen, teils durch Gärtner unter der Woche erledigt wird. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass im Sommerhalbjahr fast an jedem Tag irgendwo Maschinen tuckern, heulen, jaulen und Abgase ausstoßen. Handwerker, die Zäune reparieren oder Wohnungen umbauen kommen mit ihren Geräten noch hinzu. Dabei tobt ein Teil der Maschinisten offenbar versäumte Jugendträume aus und spielt am Gashebel, wie ein Jugendlicher, der bei seinem Mofa, oder Moped den Motor aufheulen lässt, um auf sich aufmerksam zu machen und den Mädchen zu imponieren. Offenbar ist die Zweitaktermischung noch zu billig, denn sonst würden sie sparsamer mit dem Sprit umgehen und obendrein die Anwohner nicht unnötig akustisch und mit Abgasen belästigen. Aber sie selbst haben ja einen Gehörschutz auf, nur die Nachbarn nicht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Besonders beliebt macht sich die Deutsche Bahn, wenn sie nachts entlang der Strecken den Bahndamm von allen Büschen und Bäumen befreit, indem einfach alles, was da wächst, abgefräst wird. Das geschieht zwar nicht jedes Jahr, aber desto schlimmer sieht es hinterher aus. All der Müll, den das Grün gnädig verbarg liegt nun gut sichtbar da und der Bahndamm selbst ist eine Wüstenei von zerfetzten Strünken, Baumstümpfen und abgeschnittenen Zweigen und Stämmen. Natürlich erobert die Natur diese Wüstenei in unseren Breiten in ein zwei Jahren zurück, aber schön ist anders. Und gerade, wenn wieder alles dicht bewachsen ist und die Vögel in den Büschen und Bäumen nisten könnten, kommt wieder eine "Pflegetrupp" genannte Kampftruppe, die alles nieder macht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wer nun glaubt, dass wenigstens jene Gärten leiser wären, in denen die Anwohner das Gärtnern (wegen der damit verbundenen Mühe und des Zeitaufwandes) aufgaben, die Beete abräumen  und auf einer Folie, die das Aufwachsen jeglicher Pflanzen verhindern soll, Steine aufschütten ließen, der irrt.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Auch, wenn nur an ganz wenigen Stellen, die Folie etwa für einen Busch, oder eine Rose durchbrochen wurde, so sammeln sich zwischen den Steinen doch Laub und Staub, ddie der Wind herbei weht, und müssen früher oder später weggesaugt werden, ehe sich daraus Humus bilden und auf dem neues Grün ausbreiten kann. Und schon wieder lärmt eine Maschine durch den ehemaligen Garten.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Gärtnern ist heute nicht mehr ein geduldiges Zusammenwirken mit der Natur, sondern im Garten wird Natur heute immer öfter mit Gewalt und Maschinen bekämpft. Dabei ist der Unterschied zwischen öffentlichen Gärten und Privatgärten oft schon verschwunden. Bei beiden fehlen Zeit, Geld und kundige Menschen um das auszuüben, was die Chinesen "die höchste Kunst des Friedens" nannten, eben Gärtnern.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Im chinesischen Garten spielen Maschinen kaum eine Rolle, aber Schönheit, Abwechslung, Vielfalt, Rhythmus, kurz lauter Begriffe aus der Ästhetik. Im modernen europäischen Garten dagegen geht es um "Pflegeleichtigkeit". Die intensive Auseinandersetzung mit Boden, Tieren und Pflanzen ist also gar nicht mehr erwünscht. Viel wichtiger sind ein Platz für Grill, Liege, Sandkasten, Planschbecken, Schaukel, Klettergerüst oder Trampolin. Damit wird den Kindern auch weniger der Zugang zur Natur, als zu Gerätschaften vermittelt und manche fiebern dem Tag entgegen, in dem sie auch mal mit irgend einem Motor betriebenen Gerät dem Garten ihren Willen aufzwingen können. Und so lernen auch die Kinder das "Gärtnern mit Gewalt".
 
Die Bilder (alle in Stuttgart aufgenommen) zeigen von oben nach unten:
Park der Villa Weißenburg nach „Pflege”
Gärtner mit Helm, Gehörschutz und Motorsense
Gäubahn vor und nach der „Pflege”
Ehemals wunderschöne üppige Beete sind nun „pflegeleicht”
Blätter auf „Steinernem Beet” erfordern eben doch Arbeit
Chinesischer Garten
Carl-Josef Kutzbach
Dienstag, 22. Mai 2012